Der 9. Januar 2007 hat den Startschuss für die Fragmentierung unseres Alltags gegeben. Warum? Weil Apple an diesem Tag mit der Veröffentlichung des iPhone ein neues Zeitalter der Kommunikation eingeläutet hat. Wie jede Technologie birgt das Smartphone, neben zahlreichen Vorteilen, eben auch Nachteile. Der sogenannte „Digital Burnout“ ist einer davon.
Wann haben Sie das letzte mal auf Ihr Smartphone geschaut? Vor einer Stunde? Vor zehn Minuten? Gerade eben? Sehr wahrscheinlich lesen Sie diesen Text gerade auf Ihrem Smartphone. Es wäre gar nicht so abwegig, denn satte 80 Minuten verbringen wir Deutsche durchschnittlich an unserem kleinen Alleskönner.
Satte 80 Minuten verbringen wir Deutsche durchschnittlich an unserem kleinen Alleskönner
Der Tag beginnt mit einem Blick auf das Smartphone, um den Wecker auszuschalten. Danach die Morgentoilette – schnell die News checken. Beim Frühstück geht es den E-Mails und Nachrichten an den Kragen. An der Haltestelle angekommen: Schauen was in den sozialen Medien so los ist, bevor die Bahn kommt. Glück gehabt, Sitzplatz gefunden. Neue Chat-Nachrichten warten auf eine Beantwortung und die beiden Clips auf Twitter sehen wirklich spannend aus. Nächster Halt „Rathausplatz“. Schnell ins Office und ran an die Arbeit – Oh Moment, neue Benachrichtigung auf dem Smartphone. Bis zur Mittagspause sind es dann nur noch 20 Unterbrechungen, bei denen das Smartphone gecheckt wird. Während der Mittagspause erst einmal schauen, was es Neues in den sozialen Netzwerken gibt. Es ist 17 Uhr – Feierabend also. Zurück nach Hause, die gleiche Prozedur. Erstmal abschalten, auf der Couch mit dem Smartphone in der Hand. Zwischendurch das eine oder andere erledigen, sich mit dem Partner austauschen, immer mal wieder aufs Handy schauen, um schließlich am späten Abend mit einem wirklich allerletzten Blick (für heute!) aufs Smartphone ins wohlverdiente Bett zu fallen.
Zugegeben etwas überspitzt zeigt das Beispiel, wir sehr das Smartphone unseren Alltag fragmentiert. Das Schweizer Taschenmesser des 21. Jahrhunderts bietet uns für fast jeden erdenklichen digitalen Anwendungsfall schnell und einfach das optimale Werkzeug. War man damals mit dem Handy noch vollends zufrieden, Wartezeiten mit einer Runde „Snake“ zu überbrücken, ersetzt das Smartphone heute nicht nur die Digitalkamera, den Computer und das Telefon, sondern auch Scanner, Wasserwaage, Stoppuhr, Kalender, Taschenrechner, Kreditkarte, Stadtkarte oder Spielekonsole. Die Liste lässt sich fast endlos fortführen und wird Woche für Woche um neue Apps respektive Werkzeuge ergänzt.
Doch was macht das mit uns? Sind verbringen wir beruflich und privat ohnehin schon viel Zeit im World Wide Web, wird unsere Tätigkeit danke des Smartphones immer wieder von einer Benachrichtigung unterbrochen. Mit einem Ton ruft das Smartphone förmlich nach uns und selbst Stummgeschaltet macht es immer noch mit einer Vibration auf sich aufmerksam. Dabei ist nicht jede Benachrichtigung wichtig und trotzdem unterbricht sie uns während einer Beschäftigung. Gleichzeitig dauert es rund 15 Minuten bis wir wieder im „Flow“ sind – uns also konzentriert und optimal einer Aktivität zuwenden können. Die Folge ist der digitale Burnout.
Die Folge ist der digitale Burnout.
In der heutigen Zeit wetteifert das Smartphone im Auftrag der Apps und den dahinterstehenden Unternehmen um unsere Aufmerksamkeit, denn der Spruch „Zeit ist Geld“ gilt insbesondere für die Werbebranche. Jede, auf den diversen Plattformen verbrachte Zeit muss schließlich optimal eingesetzt und an Werbetreibende verkauft werden. So handelt es sich bei den ständigen Benachrichtigungen, die uns unterbrechen und dafür sorgen, dass wir „nur mal eben“ aufs Smartphone schauen (nur um dann wieder fünf oder zehn Minuten in der jeweiligen App zu verlieren) um psychische Tricks der App-Entwickler.
Jetzt entgegnen Sie vielleicht, dass Sie das Smartphone gar nicht so häufig nutzen und sich erst recht nicht alle paar Minuten Ihren „Flow“ von kleinen, zum Teil sinnbefreiten Apps kaputt machen lassen. Bevor Sie diese Annahme laut äußern, empfehle ich einen kurzen Abstecher in die Einstellungen Ihres Smartphones. Dort finden Sie seit einiger Zeit nämlich eine ziemlich genaue Statistik Ihrer Smartphone Nutzung. Für viele mag ein Blick auf diese harten Zahlen, der im übrigen erst seit wenigen Jahren möglich ist, sicher ein Schock sein. Insbesondere junge Menschen kommen hier ins Staunen. Wissenschaftliche Erhebungen der letzten Jahre, u.a. der Universität Bonn, belegen, dass sich junge Menschen im Alter zwischen 17 und 25 Jahren besonders häufig ablenken lassen. Rechnerisch unterbricht diese Altersgruppe alle 14 Minuten ihre Tätigkeit, da sie sich vom Smartphone ablenken lässt. Zum Vergleich: Schaut man unabhängig des Alters auf alle Teilnehmer der Studie, unterbrechen diese alle 18 Minuten, insgesamt 53 mal pro Tag ihre Tätigkeit, um auf das Smartphone zu schauen.
Häufig wird das Smartphone in der Forschung auch mit einem Glücksspielautomaten verglichen, denn im Grunde holen sich die Nutzer hier eine Art Kick ab. Dieser sorgt aufgrund der Benachrichtigung auf dem Smartphone, kombiniert mit Vibration oder Signalton, für eine Dopaminausschüttung im Körper. Daneben lässt sich beobachten, dass die Nutzer häufig ohne Grund zum Smartphone greifen und wahllos Apps auf Neuigkeiten überprüfen. Dieses Phänomen wurde bereits 1930 in einem Experiment mit Ratten nachgewiesen. Die Ratte, bei der nur zufällig, nach Betätigung eines Knopfes, Futter ausgegeben wurde, betätigte diesen heftiger und häufiger als jene, bei der jede Betätigung zur Futterausgabe führte.
Nun, wie werden wir also wieder Herr über unseren Alltag? Sollten wir Smartphones verbannen und Apps löschen? Nein, ganz und gar nicht. Wir müssen lernen, mit den Geräten umzugehen und dürfen nicht zulassen, dass wir von profitgetriebenen Unternehmen fremdgesteuert werden. Doch wie stellen wir das am besten an?
Wir müssen lernen, mit den Geräten umzugehen und dürfen nicht zulassen, dass wir von profitgetriebenen Unternehmen fremdgesteuert werden.
Als allererstes einmal empfiehlt es sich, eine genaue Auswertung der Benutzungsstatistik vorzunehmen, um so die größten Zeitfresser zu identifizieren. Als nächstes sollten Sie versuchen, die Momente ausfindig zu machen, in denen Sie ständig zum Smartphone greifen (Spoiler: Wahrscheinlich werden Sie es zur Überbrückung von Wartezeiten oder aus Langeweile in die Hand nehmen). Nun, da Sie sich selbst über Ihren Smartphone-Konsum bewusst geworden sind – Einsicht ist schließlich der erste Schritt zur Besserung – gehen wir dem ganzen an den Kragen.
Zunächst sollten Sie das Smartphone so konfigurieren, dass es keinen Laut mehr von sich gibt. Schließlich sollen Sie zu Ihrem Smartphone greifen, wenn Sie es wollen und nicht wenn es das Smartphone bzw. die Apps wollen. Wenn Sie schon dabei sind können Sie sich in den Einstellungen gleich noch ein Limit für die Apps einstellen, die Ihnen gegen Ihren Willen die Zeit rauben, auf die Sie aber nicht ganz verzichten möchten. Mithilfe von sogenannten „Nudges“ , also Anstupser in die richtige Richtung, lässt sich der Smartphone-Konsum im Handumdrehen noch weiter reduzieren. Dazu lohnt sich die Anschaffung eines analogen Weckers sowie einer Armbanduhr, sofern Sie sich morgens von Ihrem Smartphone wecken und sich die Uhrzeit auf einer Smartwatch anzeigen lassen. Unterwegs packen Sie das Smartphone am besten tief in die Tasche, um der Verlockung zu entgehen. Aus den Augen aus dem Sinn gilt übrigens auch beim Smartphone-Konsum. Entgehen Sie ganz einfach der Versuchung, in dem Sie das Gerät in die Schublade packen oder in einem anderen Raum lassen (dazu gibt es übrigens auch einige Experimente – einzig die Anwesenheit des Smartphones vermindert unsere Konzentration).
Herzlichen Glückwunsch! Sie haben die Kontrolle über Ihre Aufmerksamkeit zurückerlangt. Leider kommt der schwierigste Teil erst noch auf Sie zu: Das Ergebnis halten und langfristig der Versuchung widerstehen. Aber keine Sorge, das kriegen Sie hin, denn Sie werden sehr schnell die Vorzüge dieser neuen „Freiheit“ zu schätzen wissen. Versprochen.
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Literatur:
Markowetz, Alexander (2015). Digitaler Burnout. Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich. München: Knaur Verlag.
Csíkszentmihály, Mihály (1985). Das flow-Erlebnis: jenseits von Angst und Langeweile: im Tun aufgehen. Stuttgart: Klett-Cotta.
Pavlov, Ivan. (1906). The scientific investigation of the psychical faculties or processes in the higher animals. Science, 24(620), 613-619.
Skinner, Burhus (1951). How to teach animals. Scientific American, 185(6), 26-29.
Thaler, R. H., & Sunstein, C. R. (2009). Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Ullstein.
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